LSG Berlin-Brandenburg: Für die Anwendung des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU genügt eine Beschäftigung von genau einem Jahr

In einem von mir erkämpften Beschluss hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg klargestellt, dass für die Anwendung des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU eine Beschäftigung von genau einem Jahr genügt.

 

Hintergrund ist folgender.

 

Mein Mandant ist EU-Bürger und war im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrages genau 12 Monate in Deutschland tätig. Das Ende dieser Beschäftigung lag bereits mehr als 6 Monate zurück. Das Jobcenter, das Sozialgericht Berlin und zunächst auch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg gingen von einem Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. SGB II aus: 

 

„Ausgenommen sind (…) Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen“

 

Ob sich das Aufenthaltsrecht meines Mandanten „allein“ zum Zweck der Arbeitssuche ergibt, hing von der Anwendbarkeit des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU ab:

 

„Das Recht nach Absatz 1 bleibt für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei (…) 2. unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit.“

 

Auf den ersten Blick scheint eine genau einjährige Tätigkeit nicht zu genügen. Jedoch ist die Regelung im Zusammenspiel mit § 2 Abs. 3 Satz 2 Freizügigkeitsgesetz/EU zu lesen:

 

„Bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt das Recht aus Absatz 1 während der Dauer von sechs Monaten unberührt.“

 

An einer Regelung für den Fall, dass genau ein Jahr gearbeitet wurde fehlt es, wenn man vom Wortlaut ausgeht. Jedoch ist bei einer systematischen Auslegung unter Beachtung des Sinn und Zwecks der Vorschrift (Unbefristete Freizügigkeit bei Integration in den deutschen Arbeitsmarkt) davon auszugehen, dass für die Anwendung des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU eine Beschäftigung von genau einem Jahr genügt. Dem folgte dann auch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 29.09.2016 (L 18 AS 2267/16 B ER):

 

„Nach erneuter Prüfung geht das Beschwerdegericht entgegen seiner mit Schreiben vom 23. September geäußerten vorläufigen Auffassung bei der hier nur möglichen summarischen Betrachtung davon aus, dass durch die hinreichend glaubhaft gemachte einjährige Beschäftigung vom 1. November 2012 bis 30. Oktober 2013 ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU besteht. Dies ergibt sich auch dem Zusammenspiel der Norm mit Satz 2 der Regelung, wonach eine Fortwirkung des Aufenthaltsrechts "nach weniger als einem Jahr" Beschäftigung unter den dort genannten Voraussetzungen begrenzt ist. Ansonsten fehlte es an einer Regelung bei genau einjähriger Beschäftigung bei der indes ebenfalls von einer verfestigten Integration auf dem deutschen Arbeitsmarkt auszugehen ist. Das Gericht hält es angesichts der glaubhaften Einlassungen des Antragstellers trotz des bislang fehlenden Nachweises der Bundesagentur für Arbeit auch für hinreichend wahrscheinlich, dass  die Arbeitslosigkeit unfreiwillig eingetreten ist. Die weitergehenden Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld 2 sind - was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist - erfüllt.“

 

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Wissenswertes zu Hartz IV – Teil 1: Der Antrag 

Es kann jeden treffen.: Man steht ohne Geld da und weiß nicht wie es weitergehen soll. In Deutschland haben wir in einem solchen Fall zum Glück eine vergleichsweise gut funktionierende soziale Sicherung. Die größte Bedeutung kommt dabei dem Arbeitslosengeld 2 zu. Aber bis man das erste Hartz auf dem Konto hat, kann es ein langer Weg werden... Im folgenden möchte ich hierzu einige Tipps geben.


Arbeitslosengeld 2 wird nur auf Antrag gewährt. Dies  ergibt sich aus § 37 SGB II. Aber wie stellt man einen solchen Antrag? Die meisten Menschen gehen zum Jobcenter und stellen dort persönlich einen Antrag.  Das kann man machen, empfehlen würde ich einen anderen Weg.


Ein Antrag auf Hartz IV ist nicht formgebunden. Er kann selbst mündlich gestellt werden. Aber: Ganz wichtig beim Umgang mit dem Jobcenter ist die Beweisbarkeit, insbesondere also der Nachweis über die Antragstellung.


Wie aber weißt man die Antragstellung am besten nach? Ich als Rechtsanwalt denke dabei sofort an das Fax-Gerät. Dem Telefax kommt in der anwaltlichen Praxis immer noch eine sehr hohe Bedeutung zu. Dies hat vor allem folgenden Grund: Die Gerichte akzeptieren einen „qualifizierten“ Sendebericht mit einer Kopie der ersten Seite des übersandten Schreibens als Zugangsnachweis.


Das können auch Sie sich zu Nutze machen: Schreiben Sie einen kurzen Brief unter Angabe Ihres Namens und Ihrer Adresse. Es reicht ein Satz: „Hiermit stelle ich einen Antrag auf Arbeitslosengeld 2 für mich und meine Bedarfsgemeinschaft“. Den unterschreiben Sie und faxen ihn an Ihr zuständiges Jobcenter. Sie haben kein Fax-Gerät? Zahlreiche Internet-Cafes, Copy-Shops etc. bieten die Möglichkeit an, ein Fax zu einem geringen Preis zu versenden. Achten Sie aber darauf, dass Sie einen qualifizierten Sendebericht erhalten!


Das Jobcenter wird Ihnen in der Regel einige Tage später einen ganzen Stapel Formulare zum Ausfüllen übersenden, aber der erste große Schritt ist getan: Die Antragstellung.


Warum ist die Antragstellung so wichtig? Zum einen (wie angesprochen), da sonst überhaupt keine Leistungen gewährt werden (§ 37 Abs. 1 S. 1 SGB II). Zum anderen ist aber auch die Vorschrift des § 37 Abs. 2 SGB II zu beachten. Dort heißt es:


„Leistungen nach diesem Buch werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt auf den Ersten des Monats zurück.“


Bedeutet: 


Sie stellen einen Antrag am 30.11.2015 → Sie erhalten Leistungen ab dem 01.11.2015.

Sie stellen einen Antrag am 01.12.2015 → Sie erhalten Leistungen ab dem 01.12.2015.


Obwohl der Antrag im zweiten Beispiel nur einen Tag später gestellt wurde, stehen Sie einen ganzen Monat ohne Geld da. 


Wichtig kann dies z.B. sein, wenn Sie feststellen, dass Ihr Arbeitgeber sich weigert, den Lohn zu zahlen oder wenn Sie eine hohe Betriebskostennachzahlung begleichen müssen und Sie dadurch hilfebedürftig werden. Stellen Sie den Antrag unbedingt bis zum Ende des laufenden Monats!


Noch ein Tipp: Anstatt auf die Formulare zu warten und diese dann mit dem Stift auszufüllen, können Sie diese hier herunterladen.


Fortsetzung folgt...


 

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Frauentausch

Passend zu meinem letzten Beitrag berichtet SPON über ein Verfahren beim Verwaltungsgericht Berlin, in dem es ebenfalls um Wohngeld ging. Die Klägerin hatte Wohngeld beantragt. Während des laufenden Verwaltungsverfahrens hatte sie einen Auftritt in der TV-Show "Frauentausch" und war dort mit einem Mann zu sehen, den sie anscheinend beim Amt als ihren Mitbewohner angegeben hatte. Im Fernsehen war es nun ihr Lebensgefährte. Tja, dumm gelaufen... Aber die Vorstellung, dass im Gerichtssaal Frauentausch zum Zwecke der Beweisaufnahme geschaut wurde, ist schon recht amüsant.

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Gebühren und Auslagen werden vom Land Berlin nicht erhoben.

Mein Mandant beantragte im Mai 2014 Wohngeld beim Bezirksamt Neukölln. Im Juni 2015 war immer noch keine Entscheidung ergangen. Höchste Zeit für eine Untätigkeitsklage. Kurz nach der Erhebung der Klage tat sich doch noch etwas: Ein Versagungsbescheid wegen angeblich fehlender Unterlagen. Kein Problem: Widerspruch einlegen und darauf warten. dass die Behörde zu Sinnen kommt. Rein vorsorglich wurde auch noch einmal angefragt, welche Unterlagen denn fehlen. Der Mietvertrag sollte angeblich fehlen. Der Mietvertrag? Wie wahrscheinlich ist es, dass jemand Wohngeld beantragt und nach einem Jahr noch keinen Mietvertrag eingereicht hat? Egal, er wurde vorsorglich noch einmal eingereicht. Dann kam ein Schreiben der Behörde, in dem es hieß: „Ich weise Sie daraufhin, dass die Bescheidung eines Widerspruchs für den Widerspruchsführer mit Kosten verbunden sein kann.“ Kosten? Welche Kosten? Ich konnte nichts finden. Also fragte ich bei der Behörde nach. Die müsste es ja wissen. Jedoch: „Grundsätzlich entstehen in einem Widerspruchsverfahren erhebliche Kosten. Die abschließende Entscheidung trifft jedoch unser Rechtsamt als zuständige Widerspruchsbehörde. Ich bitte um Ihr Verständnis, Ihnen daher über konkrete Beträge keine Auskünfte geben zu können.“ Vorgestern ging dann ein Widerspruchsbescheid ein. In diesem heißt es: „2. Im Widerspruchsverfahren ggf. entstandene notwendige Aufwendungen können nicht erstattet werden. Gebühren und Auslagen werden vom Land Berlin nicht erhoben.“ Ich werde jetzt Klage erheben. Die Anwaltskosten wird das Bezirksamt tragen müssen, da die Bescheide offensichtlich rechtswidrig sind und eine Klage deshalb Erfolg haben wird. Möglicherweise werde ich wegen der offensichtlich haltlosen Androhung von Kosten daneben auch noch Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen.

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